metamorphosen in miniatur
fine queer art in gold und silber
von Ursula M. Lücke
Die Sonderausstellung „metamorphosen in miniatur“ präsentierte in Anlehnung an die historischen Kunst- und Wunderkammern moderne, queere Miniaturkunst in barocken Paradegemächern. Sie bot die Gelegenheit, eigene Standards und Gedankenschubladen zu Körper, Geschlecht und (Zwischen-)Menschlichkeit zu hinterfragen und lädt ein, neue Perspektiven zu erkunden.
die wunderkammer in celle
Die historischen Kunst- und Wunderkammern (auch „Raritätenkammern“ oder „Conchylien-Kabinette“) entstanden im 16. Jahrhundert als prestigeträchtige, fürstliche Sammlungen. Sie waren Orte neuzeitlicher, kolonialer Wissensbildung, an denen das „Fremde“ oder „Wunderliche“ konstruiert und erkundet wurde. Vor allem im Barock („barocco“: „ungleichmäßig“, „schief“) waren die Wunderkammern Ausdruck einer Weltanschauung, die Objekte aus Technik, Kunst, Natur und Wissenschaft miteinander kombinierte und damit Übergänge und Zusammenhänge sichtbar machte.
BU: Ursula Lücke, „Mädchen geht schwimmen“, recyceltes Gold und renaturiertes Elbeglas, 31 x 22 x 21 mm, 2009.
© Ursula M. Lücke, Foto: Sabine Krischke
Die Blütezeit des Celler Schlosses unter Herzog Georg Wilhelm fällt genau in diese Hochzeit der Kunstkammern. Zwar hatte das Celler Schloss keine eigene historische Wunderkammer, allerdings gibt es Exponate und Stuckaturen, die dennoch auf diese Tradition hindeuten und Metamorphosen zeigen.
Mit „metamorphosen in miniatur“ ist im Residenzmuseum nun eine moderne, ganz eigene Form der Wunderkammer zu sehen. Ebenso wie die historische Wunderkammer verbindet sie unterschiedliche Materialien und kombiniert verschiedenste Themen miteinander. Im Vordergrund steht dabei immer die Sichtbarmachung überkommener gesellschaftlicher Standards und die Erweiterung unserer Sehgewohnheiten.
Die Blütezeit des Celler Schlosses unter Herzog Georg Wilhelm fällt genau in diese Hochzeit der Kunstkammern. Zwar hatte das Celler Schloss keine eigene historische Wunderkammer, allerdings gibt es Exponate und Stuckaturen, die dennoch auf diese Tradition hindeuten und Metamorphosen zeigen.
Mit „metamorphosen in miniatur“ ist im Residenzmuseum nun eine moderne, ganz eigene Form der Wunderkammer zu sehen. Ebenso wie die historische Wunderkammer verbindet sie unterschiedliche Materialien und kombiniert verschiedenste Themen miteinander. Im Vordergrund steht dabei immer die Sichtbarmachung überkommener gesellschaftlicher Standards und die Erweiterung unserer Sehgewohnheiten.
naturalia / artificialia: kunst im prozess
Ursula M. Lücke stellt mit ihren Miniatur-Figurinen aus Gold und Silber Körperideale und Geschlechterzuordnungen in Frage. Für ihre Skulpturen arbeitet sie mit Körpern aus dem Modellbau und individualisiert diese so, dass ihre gesellschaftlichen Normierungen bewusst aufgebrochen werden: Frauen* haben dann muskulöse Arme, Mädchen* sind mutig und Männer* können grazil sein. Die Skulpturen sind massiv in recyceltem Gold oder Silber gegossen und werden als „Zusammenspiel von Bruchstücken“ mit Fundstücken kombiniert. Diese Dinge aus industrieller Fertigung haben einen „Renaturierungsprozess“ durchlaufen, denn sie sind durch Abrieb in der Strömung der Elbe in natürlichen Prozessen umgeformt worden.
So entstehen Materialmetamorphosen zwischen „Naturalia“ und „Artificialia“ wie in einer historischen Wunderkammer.
BU: Ursula Lücke, „Magdalenas Rückkehr“, recyceltes Gold und renaturierte Elbkeramik, 25 x 26 x 65 mm, 2009.
© Ursula M. Lücke, Foto: Sabine Krischke
die künstlerin
Dr.* phil. Ursula M. Lücke ist Künstlerin, Bild-/Kulturwissenschaftlerin und Goldschmiedin. Ihre Inspiration schöpft sie aus Kunst und Wissenschaft gleichermaßen. Einflüsse der historischen Wunderkammer, antiker Mythologie und queer-feministischer Theorie verschmelzen in den nur 16-65 Millimeter „großen“ Gold- und Silberfiguren zu einzigartigen Metamorphosen. Von mutigen Mädchen*, die schwimmen, über Männer, die tanzen, bis hin zur Umkehrung mythologischer Geschlechter-Rollen – Ursula M. Lücke weitet den Blick.
Mehr zu Ursula M. Lücke: www.ursulaluecke.com
„Korallenminne“: Wo beginnt Metamorphose?
Minnesang
Die Koralle in der Wunderkammer
„New Materialism“
Material-Einfluss
Metamorphose
Eine Metamorphose meint die Veränderung einer Gestalt oder eines Zustandes, oder auch eine Umgestaltung. Metamorphosen treten auch in der Zoologie, der Botanik, der Geologie oder gar der Musik auf. Wir nutzen den Begriff Metamorphose außerdem häufig in Bezug auf Mythologie und Dichtung. Metamorphose meint dann die Verwandlung eines Menschen in ein Tier, eine Pflanze, eine Quelle, einen Stein oder Ähnliches. Diese beschreibt unter anderem der bekannte römische Dichter Ovid in seinem Hauptwerk Metamorphosen.
Minnesang
Der „Minnesang“ (mittelhochdeutsch minnesanc) bezeichnet mittelalterlich-höfische Liebeslyrik. Ist diese Liebe platonisch oder körperlich? Muss man das überhaupt trennen? Was ist Minnesang heute? Haben wir eine solche Auseinandersetzung mit der Liebe noch?
Die Koralle in der Wunderkammer
Aufgrund ihrer Beschaffenheit hat die Koralle in der Kunst- und Wunderkammer eine besondere Bedeutung, denn die Koralle ist zugleich Pflanze, Tier und Mineral und stellt damit eine ideale, natürliche Materialkombination dar. Sie ist also vieldeutig und bietet ein großes Potenzial für Metamorphosen. Aufgrund ihrer Farbe hat man die Koralle häufig zur Darstellung von Blut genutzt.
„New Materialism“
Ursula M. Lückes Arbeiten stehen im Zeichen des „New Materialism“. Dieser geht davon aus, dass alles am Prozess auch Akteur* darin ist. Das heißt, alles interagiert miteinander – die Künstlerin, das Werkzeug, das Material, die Rahmenbedingungen. Damit hat auch all dies einen aktiven Einfluss auf das künstlerische Ergebnis und kann ebenso Widerstände und Zufälle mitbringen, beispielsweise wenn eine Figur nicht richtig ausfließt.
Material-Einfluss
Die Koralle ist ein Fundstück, das mit den in Silber gegossenen Figuren zu einer Einheit verschmilzt. Die Prozesse und Materialien haben Einfluss auf das Ergebnis. Das Bein der sitzenden Figur ist nicht ausgeflossen, es „verschwindet“ in der Koralle. Fehlt der Figur also ein Bein? Oder ist sie Teil der Koralle, erlebt sie eine Metamorphose zur Koralle?
Metamorphose
Die stehende Figur hat einen grazilen Oberkörper und einen stämmigen Unterkörper. Sie ist vieldeutig und muss nicht definiert werden. Die sitzende Figur verschmilzt mit der Koralle. Beide Figuren sind verbunden mit dem ausfließenden Silber, die eine der anderen zugewandt. Zum Minnesang?
Kuratorin: | Michelle Bappert |
Künstlerin: | Ursula M. Lücke |
Förderung: |
Sparkasse Celle – Gifhorn – Wolfsburg |