Die Silberkammer der Celler Residenz
Welfischer Silberbesitz in der Frühen Neuzeit
Das Residenzmuseum hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung von Hof und Residenz als Zentrum politischer und kultureller Macht im alten Europa darzustellen. Silberkammern als Verwahrungsorte des „Staatsschatzes“ in Form von Prunk- und Tafelsilber waren Bestandteil jeder frühneuzeitlichen Residenz. Der Erforschung der Celler Silberkammer und ihres exklusivsten Bestandteils, des frühbarocken Huldigungssilbers – seines Gebrauches, seiner Präsentation und dynastischen Tradierung – kommt daher besondere Bedeutung zu.
Zu den kostbarsten und ranghöchsten Repräsentationsobjekten am frühneuzeitlichen Hof gehörten Gegenstände aus Silber und Gold. Sie faszinierten durch den Glanz ihres edlen Materials und die strahlenden Reflexionen des Lichts auf der spiegelnden Oberfläche.
Gewaltige Summen wurden in silbernes Tafelgerät oder Prunkobjekte investiert. Dabei waren die Silberkammern der Residenzhöfe stets „Geschirrschrank und Sparbüchse“ in einem: Ihre Bestände dienten der fürstlichen Repräsentation sowohl am Hof als auch auf Reisen und waren zugleich jederzeit verfügbare Geldanlage. Insbesondere in Kriegszeiten konnte dieser kostbarste Besitz des Hauses „versilbert“ werden. Von den umfassenden fürstlichen Silbersammlungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit sind deshalb heute nur wenige erhalten. Häufig existieren nur noch bedeutende Einzelstücke.
Die Silberbestände am Hof umfassten kostbare, vorwiegend dekorative Goldschmiedearbeiten ebenso wie das zum regelmäßigen Gebrauch bestimmte Tafelsilber. Es gehörte zum fürstlichen Selbstverständnis, die Sammlung stetig zu erweitern. Dies geschah zum einen durch Ankäufe, zum anderen durch Geschenkgaben aus Anlass von Gesandtenbesuchen, Regierungsantritten (Huldigungen) oder Hochzeiten und Turnieren. Schließlich vergrößerte auch das durch Heiraten an den Hof gelangte Aussteuersilber den Bestand.
Die Silberkammern der Celler Residenz befanden sich im 17. Jahrhundert unweit des Eingangs im Erdgeschoss, zur Hofseite gelegen – und damit in einem durch die Torwächter besonders geschützten Bereich.
Lange Zeit war der welfische Silberbesitz in der Frühen Neuzeit, insbesondere des jüngeren Hauses Braunschweig-Lüneburg, als Thema der niedersächsischen Landesgeschichte bzw. der norddeutschen Kunstgeschichte weitgehend unbearbeitet. Der Erwerb und die Rückführung dreier silbervergoldeter Objekte aus einem einzigartigen Ensemble frühbarocker Huldigungspräsente im Jahr 2009 bildete den Auftakt zu einem Forschungsprojekt sowie einer Reihe weiterer wissenschaftlicher Recherchen zum Thema.
Drei Projekte zur welfischen Silberkammer:
Das Huldigungssilber
Dem Landesherrn dargeboten
Es war eine kleine kulturgeschichtliche Sensation, als im Februar 2009 in der Sammlung des Pariser Modeschöpfers Yves Saint Laurent und seines Lebensgefährten Pierre Bergé 14 frühbarocke, silbervergoldete Trinkgeräte aus der 1705 aufgegebenen Celler Residenz der Welfen des Jüngeren Hauses Braunschweig-Lüneburg ans Licht der Öffentlichkeit gelangten.
Dank der finanziellen Unterstützung der Kulturstiftung der Länder sowie zahlreicher weiterer Partner konnten drei kostbare silbervergoldete Pokale für das Land Niedersachsen zurück erworben werden. Sie stammen aus der Silberkammer des letzten Celler Herzogs, Herzog Georg Wilhelm (1624-1705). Ermöglicht hatte dies eine konzertierte Finanzierungsaktion, an der neben dem Bund, dem Land und der Stadt Celle auch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die VGH-Stiftung, die Rudolf-August Oetker Stiftung, die Stiftung Niedersachsen und eine private Mäzenin beteiligt waren.
Bei den drei Objekten handelt es sich um den Riesenpokal der Stadt Lüneburg (wohl 1665/1666), den Tischbrunnen des Amtes Bodenteich (um 1628–1643) und den Vierfachpokal von Osterode (1649). Mit der beabsichtigten Eintragung dieser drei Huldigungspräsente aus der Silberkammer der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg in das niedersächsische Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes wurde der Verbleib dieser beeindruckenden Zeugnisse barocker Residenzkultur in Deutschland auf Dauer gesichert.
Huldigungsgeschenke nahmen einen ganz besonderen Stellenwert innerhalb der herzoglichen Silberkammer ein. Sie wurden von den Untertanen anlässlich des Regierungsantrittes eines Fürsten übergeben und tragen die Namen der schenkenden Städte oder Ämter (Verwaltungseinheiten). Damit sind sie zugleich Ausdruck der engen Bindung zwischen dem Souverän und seinen Untertanen. Mit der öffentlichen Huldigung wurde der neue Fürst in seine Herrschaft eingesetzt, und die Untertanen erkannten ihren neuen Landesherrn an. Von einem ursprünglich wechselseitigen Rechtsakt im ausgehenden Mittelalter entwickelte sich die Huldigung im Laufe der Barockzeit zunehmend zu einem Akt einseitiger Machtdemonstration des Herrschers: Nicht mehr er persönlich, sondern ein Vertreter nahm das eingeforderte Huldigungspräsent entgegen.
Huldigungsgeschenke dienten in erster Linie der fürstlichen Repräsentation. Häufig wurden sie auf einem gestaffelten Buffet in den Repräsentationsgemächern zur Schau gestellt. Zu besonderen Anlässen nahm der Herrscher sie auch mit auf Reisen, z. B. zu Reichstagen oder Krönungsfeiern. Auch hier wurden sie auf beeindruckende Weise präsentiert, um Rang und Bedeutung des Hauses nachdrücklich sichtbar zu machen.
Die gemeinsame Präsentation auf einem Schaubuffet sollte die Wirkung jedes einzelnen Stückes zusätzlich steigern. Zugleich spiegelten sich im glanzvollen Zusammenklang der Stücke und in ihrer Abstufung untereinander die Größe, Bedeutung und finanzielle Kraft des Herrschaftsgebietes wider. So wurde durch den übergroßen Lüneburger Pokal ein besonderer Akzent auf den Reichtum und die Bedeutung der Salz- und Hansestadt gelegt.
Als Teile eines einzigartigen Ensembles von fürstlichen Huldigungspräsenten des Frühbarock sind diese drei Objekte heute von europaweiter Bedeutung. Zugleich machen sie die Bedeutung der Welfenresidenz Celle und ihre Ausrichtung an den Ansprüchen europäischer Hofkultur jener Zeit anschaulich.
Das Forschungsprojekt
Für zehn der insgesamt 14 welfischen Goldschmiedearbeiten in der Sammlung Yves Saint Laurent ließ sich ermitteln, dass sie als Huldigungsgeschenke von Städten, Flecken und Ämtern zwischen 1640 und 1666 an die Celler Herzöge Friedrich (1636–1648), Christian Ludwig (1648–1665) und Georg Wilhelm (1665–1705) von Braunschweig-Lüneburg in den Besitz der Welfen gelangten. Obgleich es auf Reichsebene und in weltlichen wie geistlichen Territorien im Heiligen Römischen Reich allerorts das Phänomen edelmetallener Untertanengeschenke zu Regierungsbeginn eines Herrschers gab, ist Huldigungssilber nur vereinzelt überliefert. Nirgends haben größere Konvolute die Zeiten überdauert. Das in 13 Teilen erhaltene Huldigungssilber der Welfen stellt daher eine ganz große Ausnahme dar und fordert zur exemplarischen Erforschung des regen frühneuzeitlichen Geschenkverkehrs heraus.
Dr. Ines Elsner hat drei Jahre lang auf Initiative des Residenzmuseums im Rahmen eines vom Land Niedersachsen geförderten Projektes in der Trägerschaft der Georg-August-Universität Göttingen (Institut für historische Landesforschung) über die Huldigungsgeschenke aus dem Welfenhaus geforscht. Die archivalisch belegten Huldigungsakte, in denen diese Objekte von den einstigen Ämtern und Städten an den in Celle residierenden Landesherrn übergeben wurden, standen dabei ebenso im Blickpunkt wie die Bedeutung der Huldigung für das sich wandelnde Verhältnis zwischen Fürst und Untertanen. In ihrer Publikation stellt sie umfassend und anschaulich die faszinierende Geschichte dieser Objekte sowie ihre Bedeutung im Kontext einer frühneuzeitlichen Geschenkepraxis dar und geht damit erstmals der Entstehung und Übergabe derart tributartiger Abgaben nach.
Die Verfasserin studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften in Berlin und Lyon. Seit ihrer Dissertation über die Berliner Residenzlandschaft um 1700 widmet sie sich der frühneuzeitlichen Kunst- und Kulturgeschichte. Seit 1998 arbeitet sie für zahlreiche Museen und Ausstellungen.
Ines Elsner: Das Huldigungssilber der Welfen des Neuen Hauses Braunschweig-Lüneburg (1520–1706). Geschenkkultur und symbolische Interaktion zwischen Fürst und Untertan, Regensburg 2019 (ISBN: 978-3-7954-3355-0)
Silberpolitik als dynastische Strategie
Wissenschaftliche Tagung 2014 im Celler Schloss
Im Jahr 2009 war es dem Land Niedersachsen in enger Kooperation mit der Kulturstiftung der Länder gelungen, drei frühbarocke silbervergoldete Huldigungspräsente des Neuen Hauses Braunschweig-Lüneburg im Rahmen der Auktion der Sammlung Yves Saint Laurent in Paris zu erwerben. Sie sind seither im Celler Residenzmuseum zu sehen. Der Erhalt eines solchen Ensembles ist europaweit einzigartig und bildete deshalb den Ausgangspunkt für weitergehende Fragestellungen.
Ein zweitägiges Silbersymposium Ende Februar 2014 bildete den Auftakt für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit der einstigen Silberkammer der Celler Residenz – eingebunden in die weiteren Residenzen der Frühen Neuzeit. Experten aus dem In- und Ausland kamen für diesen Zweck zusammen und führten eine breite Diskussion. Die Tagung richtete sich aber nicht nur an Experten. Auch Laien und alle an Niedersächsischer Landesgeschichte Interessierten waren herzlich eingeladen. Die Tagungsergebnisse bildeten zugleich den „Startschuss“ für das wissenschaftliche Forschungsprojekt zum Huldigungssilber im Kontext frühneuzeitlicher Geschenkkultur und symbolischer Interaktion zwischen Landesherrschaft und Untertanen.
Die in einer Publikation zusammengefassten, überarbeiteten Beiträge geben einen Einblick in einen speziellen Aspekt frühneuzeitlicher Hofkultur sowie in die besondere Problematik des welfischen Silberbestandes. Fürstliches Silber mit seinem besonderen Symbol-, Memorial- oder Kuriositätenwert sowie die Silberkammer in ihrer mehrfachen Funktion als Aufbewahrungs- und Verwaltungsort sowie als Finanzreserve stehen im Mittelpunkt des grundlegenden Beitrages von Michaela Völkel. Juliane Schmieglitz-Otten macht den besonderen Stellenwert des Huldigungssilbers als Medium dynastischer Identitätsbehauptung deutlich. Sie zeigt dessen enge Bindung an die Residenz, für die diese Objekte einst geschaffen waren, wie auch deren einzigartige Bedeutung als Ensemble.
Als ausgewiesene Kennerin der niedersächsischen Archivbestände zeigt Christine van den Heuvel die bestehenden Forschungsdesiderata angesichts einer komplexen Provenienzgeschichte der welfischen Silberbestände auf. Dabei macht sie deutlich, dass die fürstlichen Silberkammern wie auch die welfischen Territorien zu dieser Zeit als dynastische Verfügungsmasse des Hauses insgesamt zu sehen sind.
Ines Elsners Beitrag zur Silbererwerbs- und Geschenkpolitik der Welfen in Auswertung der Celler und Calenberger Kammerregister vom späten 16. bis frühen 18. Jahrhundert bildet den Abschluss dieses ersten Abschnitts, in dessen Zentrum die Silberpolitik des jüngeren Hauses Braunschweig-Lüneburg steht.
Mit Frauke Schulte Terbovens Untersuchung der Silberinventare des Fürstbischofs Ernst August II. wird ein Blick auf die Osnabrücker Welfen zu Beginn des 18. Jahrhunderts geworfen, als sich für das Welfenhaus, bedingt durch die Personalunion mit Großbritannien, neue Repräsentationsherausforderungen stellten.
Lorenz Seelig als herausragender Kenner frühneuzeitlicher Goldschmiedekunst hat dankenswerter Weise seine aus langjähriger Arbeit an den welfischen Silberinventaren gewonnenen Erfahrungen eingebracht und seine Studie zum Silberservice Georgs III. im Hinblick auf die Fragestellung der Celler Tagung überarbeitet.
Eines der drei Hauptobjekte der „Celler Huldigungspräsente“, den Osteroder Tischbrunnen, stellt Hildegard Wiewelhove im Kontext der frühbarocken Brunnen- und Tafelkultur vor.
Erste nach der legendären Pariser Auktion in Celle angestellte Recherchen zum Verbleib weiterer repräsentativer Silberobjekte des Hauses Braunschweig-Lüneburg führten nach London zur Sammlung Schroder, in deren Bestand in den 1920er Jahren besondere Objekte aus dem Welfenhaus gelangten. Deborah Lambert stellt diese bedeutende Kunstsammlung vor, die nicht nur hochkarätiges Renaissancesilber umfasst. Mit vier außergewöhnlichen Schatzkammerobjekten, die aus ehemaligem Welfenbesitz in die Schroder Collection gelangten, befasst sich abschließend Timothy Schroder.
Publikation:
Silberpolitik als dynastische Strategie. Die Huldigungspräsente aus der Celler Residenz und der Aufstieg des jüngeren Hauses Braunschweig-Lüneburg, hg. vom Bomann-Museum Celle, Abtlg. Residenzmuseum im Celler Schloss, bearbeitet von Juliane Schmieglitz-Otten und Ines Elsner, Celle 2015 (ISBN: 978-3-925902-91-8)
Die Blaker
Rückführung zweier besonderer Wandleuchter
Im Jahr 2017 kehrten zwei frühbarocke Blaker (Wandleuchter), Teile des einstigen Schlossinventars, nach Celle zurück. Die von dem Hamburger Goldschmiedemeister Friedrich Kettwyck um 1670 gefertigten Prachtleuchter sind mit 73 cm Höhe und einer außerordentlich filigranen Gestaltung herausragende Objekte frühbarocker Goldschmiedekunst. Sie gehören zu den bedeutendsten erhaltenen Silbermöbeln des 17. Jahrhunderts aus der Goldschmiedeproduktion der Hansestadt.
Historische Inventare belegen, dass diese Objekte einst zur Ausstattung des Celler Schlosses gehörten. Die beiden Leuchter bilden eines von insgesamt drei zusammengehörigen Paaren. Nach dem Ende der Celler Linie 1705 gelangten sie nach Hannover, wo sie vermutlich vorübergehend der Ausstattung des Leineschlosses dienten, und gingen dann in der Erbmasse des Hauses Hannover auf. Während alle sechs Blaker in den 1920er Jahren noch gemeinsam in den Handel gelangten, trennten sich ihre Wege später: Die vier anderen Stücke befinden sich heute im jeweiligen Museum of Fine Arts in Boston und in Houston.
Dank einer gemeinsamen Förderung durch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Rudolf-August Oetker-Stiftung, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Regionalstiftung der Sparkasse Celle und die Stadt Celle wurde der Ankauf dieser Silberobjekte ermöglicht. Ermöglicht wurde dies dank der Bremer Galerie Neuse, die beide Leuchter bereits 2009 auf einer Londoner Auktion erworben hatten und bis zur endgültigen Finanzierung für das Museum bewahrten.